Modernisierungsszenario und das Deutschlandangebot 2040 im Vergleich
Das Deutschlandangebot 2040 im Freistaat Bayern
Gutachten über die Finanzierung der Leistungskosten im ÖPNV in Deutschland und im Freistaat Bayern 2024–2040 veröffentlicht. Zwei Szenarien zeigen den Transformationsfahrplan für die Branche auf: eine umfassende Modernisierung des Bestands oder zusätzlich dazu ein deutlich erweitertes und attraktiveres Angebot in der Fläche. Die Politik muss jetzt Richtungsentscheidungen treffen.
Das Leistungskostengutachten „Das Deutschlandangebot 2040 im Freistaat Bayern – Transformationsfahrplan für einen modernen, effizienten und leistungsstarken ÖPNV für alle und überall“ stellt fundiert dar, wie der öffentliche Personennahverkehr in Bayern zukunftsfähig gestaltet und finanziert werden kann. Es wurde im Auftrag des VDV von Ramboll Management Consulting, PwC Deutschland und Intraplan Consult erstellt.
Die Gutachter haben zunächst den Finanzierungsbedarf des ÖPNV für den Status quo im Jahr 2024 analysiert und darauf aufbauend für zwei konkrete Szenarien – „Modernisierung 2040“ und „Deutschlandangebot 2040“ – die unterschiedlichen Finanzierungsbedarfe für den ÖPNV der Zukunft ermittelt, entweder mit einer umfassenden Modernisierung bestehender Infrastruktur, punktuellen Ausbauten und der Umsetzung der Antriebswende oder zusätzlich dazu einer signifikanten Verbesserung des gesamten ÖPNV-Angebots entlang von Mindestbedienungsstandards. Das Leistungskostengutachten beschreibt damit eine konkrete Finanzierungsgrundlage, um den ÖPNV zu einer echten Mobilitätsalternative für alle Menschen im Freistaat Bayern zu machen – auch in ländlichen Räumen.
Modernisierung als Notwendigkeit
Der öffentliche Personennahverkehr spielt eine entscheidende Rolle für die Lebensqualität und die soziale Teilhabe der Menschen sowie für den Wirtschaftsstandort Bayern. Hohe verkehrspolitische Erwartungen in den Bereichen Daseinsvorsorge und Klimaschutz treffen dabei auf unzureichende Mittel und Strukturen. Die aktuelle Lage ist geprägt durch einen erheblichen Rückstau bei der Modernisierung, der sowohl die Digitalisierung als auch die Antriebswende und den baulichen Zustand von Infrastruktur, Betriebshöfen und Werkstätten umfasst. Hinzu kommen stark gestiegene Kosten für Energie, Personal und Material, ein anhaltender Arbeits- und Fachkräftemangel sowie neue Anforderungen an die kommunale Finanzierung. Der Stopp zusätzlicher ÖPNV-Förderprogramme von Bund und Ländern sowie eine Verteuerung der Vorfinanzierung von Projekten für Unternehmen durch gestiegene Zinsen wiegen schwer. Die Einführung des Deutschlandtickets verengt den Aktionsradius der Branche: Die politisch beschlossene erhebliche Senkung der Fahrpreise führt zu einem weitgehenden Bedeutungsverlust der Tarife als Instrument zur Steigerung des Anteils der Nutzerfinanzierung. Politisch gewollte Rabatte belasten die Finanzierungsbasis des ÖPNV nachhaltig, da Fahrgelderlöse fehlen, während die Kosten weiter steigen. Vor diesem Hintergrund zeigt das Leistungskostengutachten einen Weg aus der Krise und entwickelt einen Transformationsfahrplan, der im gemeinsamen Kraftakt von Branche, Land, Bund und Kommunen sowohl finanziell als auch organisatorisch den ÖPNV bis 2040 in die Lage versetzt, seine Potenziale voll zu entfalten.
Kernbotschaften des Gutachtens
ÖPNV im Freistaat Bayern hängt von öffentlichen Mitteln ab
Der gesamte öffentliche Personennahverkehr im Freistaat Bayern verursachte im Jahr 2024 Kosten in Höhe von 6,20 Milliarden Euro. Davon trägt die öffentliche Hand rund 61 Prozent, während 39 Prozent aus den Fahrgeldeinnahmen und sonstigen Erlösen der Verkehrsunternehmen stammen. Der Anteil der Fahrgeldeinnahmen am Gesamtaufwand beträgt im Freistaat Bayern rund 37 Prozent und liegt damit oberhalb des bundesweiten Schnitts von 33 Prozent. Sonstige Erlöse durch zusätzliche Einnahmen der Verkehrsunternehmen, zum Beispiel aus Werbung oder aus der Vermietung, machen im Freistaat Bayern nur einen kleinen Bruchteil der Gesamterlöse aus. Die staatliche Finanzierung bildet damit auch in Bayern – wie im gesamten Bundesgebiet – die zentrale Finanzierungssäule des ÖPNV.
Angebot und Nachfrage
Im Jahr 2024 erbrachte der ÖPNV in Bayern eine Betriebsleistung von rund 556 Millionen Nutzfahrzeug- beziehungsweise Nutzzugkilometern, das sind etwa 14 Prozent des bundesweiten ÖPNV-Angebots. Die Nachfrage im Freistaat Bayern lag bei 20,36 Milliarden Personenkilometern und damit bei rund 17 Prozent des bundesweiten Wertes von 119,7 Milliarden Personenkilometern. Auffällig ist dabei der hohe Anteil des Schienenpersonennahverkehrs an der Nachfrage: In Bayern werden 60 Prozent der Personenkilometer im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zurückgelegt, bundesweit liegt dieser Anteil bei 54 Prozent. Die Sparte Bus leistete in Bayern 27 Prozent und die Sparte Tram 13 Prozent der Nachfrage.
Kostenanstieg weit über Inflationsniveau – Finanzierungsbedarf steigt massiv
Die Betriebskosten im ÖPNV sind in den letzten Jahren aufgrund massiver Preissteigerungen deutlich überproportional gewachsen – insbesondere im Bereich Personal und Energie. Parallel dazu führte die Einführung des Deutschlandtickets zu einem strukturellen Rückgang der Fahrgeldeinnahmen. Dies hat die Schere zwischen Aufwendungen und tatsächlich erzielten Einnahmen signifikant vergrößert. Fest steht: Ein moderner, effizienter und leistungsstarker ÖPNV der Zukunft erfordert jährlich zusätzliche Investitionen. Das Gutachten zeigt deutlich, dass ein „Weiter so“ keine Option ist - und zeichnet dabei zwei Szenarien zur Stärkung des ÖPNV auf sowie die damit verbundenen Mehrkosten bis zum Jahr 2040.
Im Szenario „Modernisierung 2040“ steigt der öffentliche Finanzierungsbedarf für den ÖPNV in Bayern von 3,80 Milliarden Euro im Jahr 2024 auf 7,48 Milliarden Euro im Jahr 2040. Das entspricht einem Plus von 3,68 Milliarden Euro oder einer Steigerung um 97 Prozent. Um dies zu erreichen, muss der heutige Betrag im Mittel jährlich um etwa 230 Millionen Euro erhöht werden – ein Zuwachs von rund 4,3 Prozent pro Jahr. Im Szenario „Deutschlandangebot 2040“ wächst der Finanzierungsbedarf noch deutlich stärker: Er beläuft sich im Jahr 2040 auf 11,58 Milliarden Euro. Dies entspricht einem Anstieg von 7,80 Milliarden Euro bzw. 206 Prozent gegenüber 2024. Hierfür ist ein jährlicher Mittelaufwuchs von rund 489 Millionen Euro erforderlich, was einer Steigerung um etwa 7,2 Prozent pro Jahr gleichkommt.
Der notwendige Eigenbeitrag der ÖPNV-Branche
Die Branche bekennt sich dazu, einen starken eigenen Beitrag zu leisten, Infrastrukturen sowie Prozesse und damit letztlich auch das Angebot zu verbessern. Im Zentrum stehen dabei die Dekarbonisierung der gesamten Bus- und SPNV-Flotten, die umfassende Digitalisierung sämtlicher Betriebsabläufe und die Modernisierung von Betriebshöfen und Werkstätten. Diese Maßnahmen gelten als Ausdruck des Engagements und der Transformationsbereitschaft der Verkehrsunternehmen, die aktiv in emissionsfreie Technologien investieren, um die Klimaziele zu erreichen.
Neben Investitionen setzt die Branche auf eine effizientere Ausgestaltung ihrer Leistungen, um den Kundinnen und Kunden künftig ein höherwertiges Angebot machen zu können.
Modernisierung 2040 vs. Deutschlandangebot 2040 im Freistaat Bayern: Flächendeckende Mobilität als echte Alternative
Das Szenario „Modernisierung 2040“ sorgt für Bestandssicherung und Verbesserung der ÖPNV-Qualität durch Modernisierungsmaßnahmen. Diese beinhalten:
- Den vollständigen Abbau des Sanierungsstaus sowie eine umfassende Modernisierung von Fahrzeugen und Infrastruktur.
- Die Elektrifizierung und den Austausch der gesamten Bus- und SPNV-Flotten durch emissionsfreie Fahrzeuge.
- Die Fertigstellung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München und den punktuellen Ausbau der Straßenbahn- und U-Bahn-Netze.
Das Verkehrsangebot bleibt – mit Ausnahme von punktuellen Angebotsausweitungen durch bereits in der Umsetzung begriffene Investitionsvorhaben – nahezu konstant. Aufgrund der positiven demografischen Entwicklung in Bayern steigt die ÖPNV-Nachfrage im Szenario „Modernisierung 2040“ um 13 Prozent, während die Sitzplatzkilometer um 6 Prozent zunehmen.
Das Szenario „Deutschlandangebot 2040“ im Freistaat Bayern zielt auf einen substanziellen Ausbau des Verkehrsangebots in allen Regionen des Freistaats ab. Am Ende des Ausbaus soll nicht nur ein flächendeckend und attraktives, sondern auch ein bedarfsgerechtes und klimafreundliches ÖPNV-Angebot stehen. Es beinhaltet:
- Die Umsetzung aller Maßnahmen des Szenarios „Modernisierung 2040“.
- Eine flächendeckende Verdichtung des Angebots. Dazu gehören Taktverdichtungen im Busangebot gemäß bundesweit einheitlicher Mindestbedienstandards, eine um 40 Prozent gesteigerte Fahrplanleistung bei Straßen- und Stadtbahnen.
- Eine Fahrplanbeschleunigung um 5 Prozent durch digitale Steuerung, optimierte Ampelschaltungen und Priorisierung im Mischverkehr.
- Die vollständige Umsetzung des Deutschlandtakts im SPNV, darunter Verdichtung des SPNV-Angebots landesweit auf den RE-Linien, zwei Zugpaare pro Stunde auf der Donautalbahn und bessere Umsteigebeziehungen und Fahrzeitverkürzungen durch den Ausbau bestehender Bedienkonzepte.
- Zusätzliche flexible On-Demand-Angebote in ländlichen Regionen.
Im „Deutschlandangebot 2040“ steigen die zur Verfügung stehenden Sitzplatzkilometer um 63 Prozent und die Nachfrage wächst um mindestens 28 Prozent. Die durchschnittliche Güteklasse verbessert sich von 3,9 (2024) auf 2,9 (2040), das heißt, für mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Bayern verbessern sich die Erschließung im ÖPNV sowie das ÖPNV-Angebot um zwei Güteklassen, für knapp die Hälfte der Bevölkerung in Bayern um eine Güteklasse.
Transformationsfahrplan für den ÖPNV bis 2040
Das Szenario „Deutschlandangebot 2040“ im Freistaat Bayern ist ein klarer Appell an die Politik: Nur mit einer entschlossenen Innovationsoffensive kann der ÖPNV seine Funktion als Rückgrat einer klima- und sozialgerechten Mobilitätswende erfüllen. Ein zukunftsfähiger ÖPNV erfordert dabei koordinierte verkehrspolitische Maßnahmen und langfristige Investitionen. Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam gefordert, die hierfür notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Nach der Basisprognose der Verkehrsprognose 2040 soll die Bevölkerung im Freistaat Bayern bis zum Jahr 2040 um 5,0 Prozent wachsen, bei einem Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung von nur 4,1 Prozent. Dadurch wird Bayern vom Wachstum des Verkehrsaufkommens besonders stark profitieren.
Der positive demografische und wirtschaftliche Ausblick führt dazu, dass die Finanzierung über den Bedarf der reinen Modernisierung hinausgehen muss, um das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum mit einem passenden Mobilitätsangebot zu begleiten. Die vorliegende Analyse macht deutlich, dass die Schaffung eines hochwertigen ÖPNV-Angebots zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ein klares Bekenntnis der Politik zum ÖPNV und zur öffentlichen Finanzierung verlangt. Dies gilt für Bund und Land gleichermaßen. Der ÖPNV in Bayern kann bis 2040 zu einem modernen, effizienten und leistungsstarken System transformiert werden, wenn Politik und Branche gemeinsam entschlossen handeln.
Die wichtigsten Botschaften in Kürze
Mit 230 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr in Bayern…
… elektrifizieren wir alle Busse und den SPNV – für eine klimafreundliche Zukunft.
… erneuern wir die gesamte ÖPNV-Infrastruktur in Bayern.
… werden Betriebshöfe und Werkstätten neugebaut und ertüchtig.
… werden Straßen- und U-Bahnnetze in München ausgebaut und die zweite S-Bahn-Stammstrecke eröffnet.
Mit 489 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr in Bayern…
… setzen wir den Deutschlandtakt im SPNV um und stärken die zentralen ÖPNV-Korridore.
… verdichten wir das Tram-Angebot um 40 % und beschleunigen den Fahrplan um 5 %.
… schaffen wir ein flächendeckendes On-Demand-Angebot für ländliche Räume.
… verbessern wir den ÖPNV für die Mehrheit der Bevölkerung – besonders in ländlichen Regionen.
… profitiert mehr als ein Drittel der Bevölkerung von einer um zwei Güteklassen besseren ÖPNV-Erschließung, knapp die Hälfte bekommt einen um eine Güteklasse besseren ÖPNV.